Es ist wirklich schwer, das Problem wirklich auf einen Umstand herunterzubrechen. In den USA kämpfen teilweise ganze Fernsehsender (ESPN) mit sinkenden Einschaltquoten. Leute kündigen ihren Kabelvertrag und schauen sich etwas anderes oder möglicherweise gar das selbe (Stichwort Hulu) für deutlich weniger als 100 Dollar im Monat an. Man muss sich mal vor Augen führen, dass Monday Night RAW trotz den signifikant niedrigeren Ratings regelmäßig unter den Top 3 der am meisten angeschauten Sendungen des entsprechenden Slots am Montag ist. Ergo: Die Leute schauen nichts anderes im Fernsehen, sie schauen gar kein Fernsehen mehr bzw. lassen ihn immer häufiger aus. Es gibt genug Alternativen, um sich einen langweiligen Montagabend noch zu vertreiben. Sei es auf Netflix, Amazon, Hulu oder sogar Twitch. Das sind alles Konkurrenten in diesem völlig ausufernden "Entertainment"-Markt, den die WWE ja bekanntermaßen so gerne bedienen möchte.
Aber: Wollen sie das wirklich? Ich kann mir gut vorstellen, dass Vince das gerne möchte. Aber die Wahrheit sieht doch anders aus. Seit Jahren werden in erster Linie Wrestling-Fans bedient. Es werden Indy-Superstars verpflichtet und die werden von den Neckbeards im Publikum frenetisch gefeiert. Der Fernsehzuschauer denkt sich: "WTF, wer ist das?" Noch viel schlimmer: Er versteht die Faszination eines Nakamuras oder wem auch immer nicht, da die WWE keine Mühen mehr in die Gimmicks und Charaktere steckt. Ich wiederhole mich da zwar immer wieder, doch es ist so: Es kommen jedes Jahr gefühlt 100 neue Indy-Darlings nach und das etablierte Stammpersonal fällt hinten vom Laster herunter. Das selbe Schicksal treffen dann ein Jahr später unter Umständen dann die vermeintlich gefeierten Gamechanger wie Nakamura. Wenn solch ein begabter Mann wie Kevin Owens nach der haarsträubenden Fehde gegen Roman Reigns und dem Aftermath gegen Jericho als Charakter-Overhaul ein "The New Face of America"-Gimmick bekommt, kann ich da echt nur müde lächeln. Das ist nicht innovativ, das hat keinen Impact und vor allem limitiert das einen Kevin Owens unnötig. Der Mann kann reden wie kein zweiter.
Gut, haben wir diese große Baustelle namens "Charaktere" ausgemacht. Daraus resultiert ein anderes Problem: Ohne große Charaktere funktionieren Storylines nur unter ihrem Niveau. Seth Rollins gegen Triple H war mit der Authority-Vorgeschichte eine großartige Geschichte, nur irgendwie hat sie nicht so richtig gezündet. Warum? Sie wurde 1.) schleppend erzählt, sie hatte 2.) keine Wendungen und 3.) war Rollins einfach noch nicht so weit. Er konnte diese riesigen Face Reactions nicht ziehen und da liegt die Schuld eindeutig am Booking Team. Fast 1:1 die gleiche Storyline gab es damals mit Triple H vs. Batista. Sie wurde behutsam aufgebaut, aber es gab jede Woche neue Andeutungen. Dann kam der große Fingerzeig nach unten und das Dach ist von der Arena geflogen. Was ich damit sagen will: Dem Writing Team, oder sagen wir besser der WWE, denn es handelt sich gewiss um ein personelles und strukturelles Problem, ist das Gespür abhanden gekommen, Geschichten interessant und langfristig zu erzählen - vorausgesetzt man kann mit solch einer auf dem Papier aufwarten.
Aber sitzen wirklich nur Vollidioten im Writing Team? Davon gehe ich nicht aus (gut, es sind aber auf jeden Fall zu viele mit viel zu kurzer Halbwertszeit). Ich erkenne als Außenstehender keine klare Philosophie und Linie im Programm: Das was vor einer Woche war, kann in der nächsten Woche egal sein. Das ist tödlich für Serienunterhaltung aber genau daran krankt es der WWE aktuell. Bis auf wenige "Pet Projects" wie Reigns und Strowman dümpelt der Rest unbedeutsam im Nichts rum, dabei runden gute Nebencharaktere eine Serie erst ab. Klar, The Rock und Steve Austin waren damals die klaren Top-Stars. Aber auf dem Weg dahin hat man lustige / skurrile / interessante / was auch immer Charaktere und Storylines geboten, das gibt es heute überhaupt nicht mehr. Es zentriert sich viel zu viel auf den Sport an sich. Eben genau das, was Vince McMahon nicht haben möchte.
Und dies ist die perfekte Überleitung für meinen letzten Punkt: Zwischen Leuten wie Vince McMahon, Kevin Dunn etc. und dem ganzen anderen Rest herrscht offensichtlich eine riesige, kreative Diskrepanz. Anders kann ich mir teilweise nicht erklären, was da teilweise für Logiklöcher drin sind. Die eine Seite will Entertainment, die andere Seite will Wrestling. Das geht nicht gut. Ich erwarte keine Hollywood-Drehbücher, aber es darf doch zumindest auf Daily Soap Niveau sein. Und das kann die WWE - das tut mir leid, TheUndertaker
: - mittlerweile nicht mehr bringen. Das ist simpler als simpler und selbst dann noch stümperhaft erzählt. Prinzipiell gibt es 3 Stunden Hochglanz-TV mit völlig hanebüchenem Inhalt. Ja, man kann NICHT 52 perfekte RAW-Ausgaben bringen. Jede Serie hat Filler-Episoden. Bei drei Stunden RAW ist es aber nicht mehr möglich, eine mitreißende Live-Show ohne Längen auf die Beine zu stellen. SmackDown macht es stellenweise besser, aber wie bereits erwähnt noch zu viel Wrestling für meinen Geschmack (und seltsame Segmente wie das mit Nakamura letztens).
Deswegen verstehe ich einen Vince Russo, der seine Hilfe anbietet. Der Mann hat im Kern erkannt worum es in der WWE gehen sollte (bzw. worum es in der WWE gehen sollte, um Interesse bei Casual Fans zu erzeugen). Mit diesen 25-köpfigen Writing Teams, Head Writern, anderen kreativen Instanzen wie Stephanie McMahon und letztendlich Vince McMahon als der finale Daumen-Heber oder Daumen-Senker bleibt aber so unglaublich viel Potential auf der Strecke liegen...bei solch einem Roster, solch einer Produktion und solchen Fans eigentlich traurig.
Ich kann da keine finale These aufstellen, woran es der WWE krankt. Es sind viele Faktoren: Die sich wandelnde Fernsehlandschaft, die nicht erkennbaren kreativen Ausrichtung, die wöchentliche Übersättigung, zu wenig "Casual Entertainment" und, und, und.