Zum Deutschlandstart des erfolgreichen Kinofilms "The Wrestler" mit Mickey Rourke stand Alex Wright der Tageszeitung "Die Welt" Rede und Antwort:
Der Schauspieler und ehemalige Boxer Mickey Rourke feiert mit dem Film "The Wrestler" derzeit ein furioses Comeback. WELT ONLINE sah sich den Film zusammen mit dem bekanntesten deutschen Catcher, Alex Wright, an – und stellte fest, dass Wrestling viel mehr ist als einfach nur Entertainment.
Vor jedem Auftritt gibt es für den Wrestler einen kurzen Moment des Innehaltens. Er steht im "Locker Room", dem Umkleideraum, durch den Vorhang hindurch ist der Chor der Fans gut zu hören, der immer weiter anschwillt. Noch einmal den Kopf senken, tief durchatmen. Die Hände durchkneten, dann ineinanderfalten. Und beten. Dann steht der Wrestler auf, schiebt den Vorhang zur Seite und wird zu jemand anderem: zu einem Star, den alle bewundern, der seine Fans hinter sich weiß. Das Spiel kann beginnen.
Im Film "The Wrestler" spielt Mickey Rourke den Titelhelden Randy "The Ram" Robinson. Vor zwanzig Jahren ein Star im Ring, ist Randys Körper inzwischen alt und verwittert. Mit seinen Auftritten auf drittklassigen Preiskämpfen kann er nicht einmal mehr seine Miete bezahlen, sein Nebenjob im Lagerhaus eines Supermarkts ist demütigend, und seine Tochter will nichts mehr von ihm wissen. Wirklich zum Leben erwacht Randy nur, wenn er mit Stühlen auf seine Gegner losgeht, sie in den Schwitzkasten nimmt oder sich auf eine Ecke des Rings stellt und dann mit aller Kraft springt.
Als sich der deutsche Wrestler Alex Wright den Film anschaut, sitzt er weit hinten. "Vorn wird mir schnell schwindelig." Der 33-jährige Nürnberger ist Deutschlands bekanntester Wrestler, hat rund 3000 Kämpfe hinter sich, in den USA, in Mexiko, in Japan, in Europa. Wenn Randy auf der Leinwand kämpft, auf seine Gegner springt, erkennt Alex Wright darin den "Flying Head Dive", den "Wrist Lock" oder die "Headscissor" – das ist, wenn man den Kopf des Gegners zwischen die Beine klemmt.
Wright erkennt auch den Bärtigen wieder, der Randy auf der Leinwand blutig schlägt. "Das ist Necro Butcher", sagt er, "ich wusste gar nicht, dass der jetzt schauspielert." Ebenso Randys Film-Gegner "Ayatollah". Er heißt im wirklichen Leben Ernest Miller und war ein ehemaliger Kollege – oder Gegner, das ist im Wrestling nie ganz eindeutig.
Dieser Sport ist eben immer auch Entertainment. Für die Zuschauer ist es oft egal, wer den Kampf gewinnt. Umso wichtiger ist, dass das Spektakel hohen Schauwert hat. Nur dann kommt das Fernsehen, und nur dann verdienen alle Geld an den Kämpfen. Dafür müssen die Handgriffe sitzen, müssen die Wrestler gut aufeinander achten.
"Selten werden die einzelnen Folgen abgesprochen", sagt Wright. Eine Choreografie wie im Tanz gebe es nicht. "Wenn ein Wrestler in einem Kampf zu viel einstecken muss, dann schlägt er auch einmal etwas härter zurück." Es gibt Tausende Bewegungen, auf jeden Griff gibt es unendlich viele Antworten.
Alex Wright kennt diese Regeln und hat nach ihnen gekämpft. Er hat heute finanziell ausgesorgt, trägt eine Rolex, goldene Manschettenknöpfe und sein Anzug sitzt perfekt. Sein Lächeln ist freundlich, nichts an ihm wirkt aufgesetzt. Kaum zu glauben, dass dieser Mann über zehn Jahre lang sein Geld mit diesem harten Sport verdient hat.
Mit drei Jahren schaute er seinem Vater zu, damals ein weltbekannter Wrestler. Mit 16 folgte Alex Wright ihm in den Ring und zwei Jahre später zog er unter dem Wrestlernamen "Das Wunderkind" in die USA. Seine Kämpfe sind noch heute bei YouTube beliebt. Es war das "Leben auf der Fastlane", sagt Wright heute. Und hätte ihn seine Frau nicht immer wieder auf den Boden geholt, wäre er wohl noch heute dort.
Was dazugehört, verschweigt der Film "The Wrestler" nicht: die ständige Einsamkeit. Der Filmwrestler Randy hat praktisch keine Freunde, ist umgeben von Kollegen, also Gegnern. Seine einzige Freundin ist die Stripteasetänzerin Cassidy (Marisa Tomei). Auch sie verkauft ihren Körper, spielt ihren Kunden tanzend eine Show vor, wie der Wrestler. Ein cleverer Trick des Drehbuchautors?
"Das ist kein Trick", sagt Alex Wright nüchtern. "Wrestler gehen einfach nach ihren Kämpfen in einen Stripteaseclub." In den USA seien die Clubs "soziale Räume", in denen Geschäfte gemacht werden. Wright hat Hunderte von innen gesehen, sprach dort mit seinen Kollegen – und lief abends zurück zu seiner Frau.
Dass dieser Sport auf lange Sicht einen Körper ruinieren kann, zeigt eine Szene, in der Randy, selbst Hörgerät-Träger, auf ehemalige Wrestler trifft. Sie starren apathisch vor sich hin, sitzen im Rollstuhl oder haben künstliche Fußgelenke. Alex Wright hat auch dafür einen nüchternen Satz:
"Ich war einmal blind für einen Tag." Er hatte gegen den Willen der Ärzte weitergekämpft. Tinnitus? "Ach, der ging nach ein paar Tagen wieder weg." Andere Verletzungen sind chronisch geworden: Seine Ellenbogen sind zertrümmert, die Knorpel abgenutzt, der Meniskus kaputt, das Kreuzband gerissen. Seine linke Schulter ist nicht sehr belastbar. "Ohne Training würde jede Bewegung schmerzen." Das Beten sei unter Wrestlern sehr verbreitet.
Neben Respekt vor Dingen, auf die man keinen Einfluss hat, lehrt Wrestling–- und "The Wrestler" – den Respekt vor dem Gegner. Jede eigene Bewegung muss der Gegner vorausahnen können, mit einplanen und dann entsprechend reagieren. In der wohl beeindruckendsten Kampfszene des Films verliert Randy die Kontrolle über sich und damit auch über sein Gegenüber. Das Spiel stoppt. Der andere bittet Randy auf dem Boden liegend: "Schlag mich!" Der Moment ist erschütternd, weil der Sportler nicht einmal mehr die Kraft hat, so zu tun, als würde er zuschlagen.
Um das zeigen zu können, hat Schauspieler und Profi-Boxer Mickey Rourke monatelang trainiert. Doch der Regisseur Darren Aronofsky ("Pi", "The Fountain") wollte ihn auch aus einem anderen Grund für die Hauptrolle. Rourke war, das hat er in vielen Interviews wiederholt, selbst "ganz unten".
Das hieß: Alkohol, Drogen, Gefängnis, keine Freunde. Der 57-Jährige sieht im Film deutlich älter aus. Seine Stimme ist rau, jede Bewegung scheint zu schmerzen. Der Lohn ist die Rolle seines Lebens, ein Golden Globe für die beste Hauptrolle und eine Nominierung für den Oscar.
Für den Sport Wrestling hat Mickey Rourke mit diesem Film allerdings wenig Gutes getan. Der deutsche Wrestler Alex Wright sorgt sich um den europäischen Nachwuchs. Mehr als hundert junge Sportler trainieren jedes Wochenende in seiner Pro-Wrestling-Schule "The Wright Stuff". "
Der Film vermischt normales Wrestling mit Hardcore-Kämpfen." Dabei seien sogenannte Death-Matches, bei denen Stacheldraht zum Einsatz kommt, höchst selten. "Wrestling ist ein familientauglicher Sport", sagt Wright. In den USA ist er so beliebt wie Basketball, hier laufen die Kämpfe im Nachtprogramm von DSF oder Eurosport. "The Wrestler" wird das nicht ändern.
Doch so kritisch Wright den Film auch sieht, eine Stelle hat ihn wirklich berührt. Als Randy Robinson im Ring das Mikrofon in die Hand nimmt und zu seinen Fans ruft: "Ich mach das alles für euch. Ihr seid meine Familie." Laut Alex Wright ist diese Szene sehr wahrhaftig. "In der realen Welt hat es ein Wrestler schwer", sagt er und benutzt zum ersten Mal das Wort "wir" für Randy und sich. "Wir wollen Zuschauern Emotionen geben, und wenn wir dann etwas zurückbekommen, bewegt uns das. Das macht den Kampf zu einer schönen Sucht."
Quelle: Genickbruch