Wrestling: Dass einer stirbt, kommt schon mal vor
Die Show ist das Geschäft: Andre Träumer war Profi-Wrestler, jetzt arbeitet er als Gefängniswärter. Steffen Dobbert porträtiert einen Sportler und einen Pseudo-Sport.
Wenn die Leute ihn hassten, wusste Andre Träumer, dass er gute Arbeit geleistet hatte. Hauptsache die Menschen vergöttern oder hassen dich, lautet eine Weisheit im Wrestling. Träumer buhten die Leute oft aus.
Der 27-Jähriger trägt die Haare raspelkurz, ist 1,88 Meter groß und fast so breit wie eine Tür. Weil ihm sein Name zu soft klang, nannte er sich vor neun Jahren Craig B. C. Das B und das C stehen für Body Crusher. Seine Worte rollen langsam über die schiefen Zähne, er spricht nicht, er brummt. Für einen Menschen, der einen im Ring Angst einjagen soll, wirkt er im Gespräch wie ein Kuscheltier.
An einem Freitagabend hat die Wrestling Legend Tour 2011 die Stars der Szene in ein ehemaliges Pumpenwerk nach Berlin geholt. Etwa 300 Zuschauer haben für ihre Karte 35 Euro bezahlt. Fans, Veranstalter, Träumer: Keiner kann sagen, ob das alles Theater, Sport oder Gaukelei ist. Wenn die Männerkörper aufeinander knallen, ist das für die meisten ein Spektakel.
Wrestling sei mindestens 70 Prozent Show, der Rest ist Sport im Sinne der Show, sagt ein Zuschauer. Bevor die Kämpfer in den Ring steigen, haben die Veranstalter bestimmt, wie der Kampf endet. Die Faustregel besagt, wer die meisten Tickets verkauft, gewinnt. Die beste Unterhaltung ist das größte Geschäft.
Als Träumer zur Schule ging, stapelten sich in seinem Kinderzimmer 90 Wrestler-Puppen aus Plastik. Damals sammelte er Aufkleber und bespielte Videokassetten mit den Stars seiner Jugend. Es waren die fetten Jahre des Pseudo-Sports. Millionen Menschen verfolgten im Deutschen TV die abgekarteten Kämpfe. Für viele war "the Undertaker" ein Held und "Bret the Hitman Hart" der berühmteste Kanadier der Welt. Mitte der Neunziger war Deutschland der drittgrößte Markt für die Marketingstrategen der World Wrestling Federation (WWF). Die Show war so populär, dass RTL 2 vor Gericht darum stritt, die Kämpfe schon am Nachmittag übertragen zu dürfen. Das Vorhaben scheiterte, weil die Richter befanden, dass Wrestling "jugendgefährdend" sei. Später verschwanden die US-Kämpfer völlig aus dem Free-TV, der Hype war beendet.
Nach der Schule brach Träumer eine Ausbildung zum Krankenpfleger ab. Vier Jahre diente er bei der Bundeswehr als Fallschirmjäger, bis er in einer Zeitung eine Anzeige mit dem Wort "Powerwrestling" entdeckte. Von da an trainierte der Durchtrainierte noch mehr, lernte, wie man auf den Ringboden knallt, ohne sich etwas zu brechen, und wie man Zuschauer zum Buhen bringt.
Für seine ersten Kämpfe bekam Träumer 25 Euro Spritgeld. Ein paar Monaten später konnte er 250 bis 500 Euro pro Abend verlangen. In der Szene heißt es, ein Wrestler muss den Drang haben, sich selbst darstellen zu wollen. In welcher Stadt Europas Craig B. C. auch antrat, seine Ring-Rats, junge weibliche Fans, warteten fast immer auf ihn. Gelegentlich arbeitete er noch als Bodyguard. Das meiste Geld verdiente Craig B. C. an den Wochenenden.
Wer den Guten und den Bösen spielt, wie das Drehbuch für einen Kampfabend aussieht, denken sich nicht die Wrestler aus. In den USA sollte ein Wrestler im vergangenen Jahrzehnt mit einem Seil im Ring landen. Weil er nicht richtig gesichert war, krachte der Mann auf den Boden und starb. Viele Zuschauer klatschten.
Wrestling ist keine anerkannte Sportart. Und Wrestling kennt keine festen Regeln, auch keine Anti-Doping-Regeln. "Steroide, Anabolika, all die Aufbaumittel gehören für viele Catcher zwangsläufig dazu", sagt Träumer. Die Website listet verstorbene Wrestler auf. In den vergangenen fünf Jahren starben 58 Männer an Herzversagen. Weitere häufige Todesursachen sind Mord und Selbstmord.
Im Jahr 2007 erhängte sich Chris Benoit, einer der besten Wrestler der World Wrestling Entertainment (WWE), nachdem er seine Frau mit einem Kabel erdrosselt und seinen Sohn mit einem Wrestler-Würgegriff getötet hatte. Träumer sagt, Wrestling sei ein Extremsport. Wer jahrelang 300 Tage im Jahr im Ring stehe, seinen Körper fit halten müsse, trägt Folgeerscheinungen davon. Dass einer stirbt, komme schon mal vor.
Der Vater von Träumer bewundert seinen Sohn, weil er Wrestling so konsequent durchgezogen hat. Seine Mutter hat sich immer gewünscht, dass er damit aufhört. Bis zum Herbst 2005. Damals kämpfte Craig B. C. in Wittorf, einem 1500-Einwohner-Ort in der Lüneburger Heide. Er wollte seinen Gegner aus dem Sprung zu Boden reißen, wie er es hunderte Mal zuvor getan hatte. Als er danach auf dem Boden lag und seinen Arm bewegen wollte, hörte er seine Schulter knacken.
Vier Monate konnte Craig B. C. keinen Kampf bestreiten. Träumer verdiente kein Geld. Die Kapselverletzung in der Schulter ließ ihn umdenken. Er begann im Schichtbetrieb als Justizvollzugsbeamter zu arbeiten.
Die Wrestling Legend Tour 2011 findet dieses Jahr in Berlin und in Rotenburg an der Wümme statt. In Rotenburg wird auch Craig B. C. noch einmal für ein Match in den Ring steigen. In einem Teammatch tritt er gegen Bushwhacker Luke und Doink the Clown an. Träumer sagt, er freue sich auf den Auftritt, schließlich sei er immer noch der amtierende DWA Tagteamchampion.
Als er erklären will, welche Bedeutung der Titel hat, kommt plötzlich ein muskelbepackter Kollege vorbei. Durch die Nase trägt er einen bunten Ring, unter flaschenhalsdicken Rastazöpfen grinst er schreckhaft. Er schüttelt Craig B. C. die Hände, verdreht die Augen, verbeugt sich drei Mal und murmelt wirre Worte über "die Herausforderung". Als er weiter läuft, sagt Träumer, dass der Kollege seit Jahren bei den Kämpfen dabei ist. Drei Minuten unterhalten könne man sich mit ihm nicht mehr.
Vor drei Jahren war der Film The Wrestler für zwei Oscars nominiert. Mickey Rourke spielt einen Profiwrestler, der seit zwanzig Jahren kämpft, Aufputschmittel schluckt und im Abstieg des Wrestlings als TV-Sport auch seinen persönlichen Abstieg erlebt. Der Protagonist Randy "The Ram" Robinson versucht letztlich, als Verkäufer hinter der Fleischtheke Geld zu verdienen. In einer Schlüsselszene steht er im Durchgang zum Verkaufsraum und hört Kunden nach ihm rufen.
Träumer gefällt der Film. Er sagt, manchmal, wenn er in der Justizvollzugsanstalt Totschläger, Dealer, Räuber bewachen soll und im Durchgang von einem Raum zum anderen steht, sind die Bilder da. In seinem Kopf hört er dann die Fans "Bee-Cee, Bee-Cee, Bee-Cee" rufen.
Quelle: zeit.de