WrestlingCorner Kurzgeschichte: Jeff Marcus – Aufstieg

Veröffentlicht am 25. Dezember 2021 um 18:00 Uhr von Vincent Hummel in der Kategorie: Intern.

Früh wahrte der Dunst über dem Haus der Familie Marcus, die sich immer ein bisschen abgeschotten fühlten, wenn es so neblig war. Dabei wohnten sie in einer der größten Siedlungen im gesamten Ruhrgebiet. Der Alltag war bei ihnen immer gleich. Strikte Rituale beherrschten das Leben der Familie. So wurde Jeff auch bereits um 06:00 Uhr geweckt. Natürlich hätte er einen eigenen Wecker stellen können. Das Leben zuhause bei den Eltern genoss der Junggeselle jedoch wirklich. Und nicht nur das: Bereits seit zwei Jahren finanzieren ihn seine Eltern die Wrestling-Ausbildung. Denn Jeff’s größter Traum ist es, irgendwann Profi-Wrestler zu werden. Dies erkennt man auch unschwer an der Dekoration in seinem Zimmer. Viele Figuren schmücken den urigen Sekretär für Schularbeiten und an der Wand kleben Poster bekannter Kämpfer. Schon lange war er Fan von…

Klopf – Klopf „Jeff, jetzt musst du aber wirklich aufstehen“, befiehl die Mutter!
Für Jeff war das Aufstehen keine große Sache. Er lernte seit einiger Zeit in einem Selbstverwirklichungsseminar, nebenbei, wie wichtig es ist, Disziplin zu haben. So wurde ihm gelehrt, die „1,2,3-Regel“ anzuwenden. Wenn er beim Zählen bei „3“ angekommen ist, sollte er sich sofort erheben. Das hat den Vorteil, dass das Gehirn gar nicht erst in Versuchung kommt, eine Ausrede für einen längeren Schlaf zu finden.

Das Frühstück war immer reichlich am Morgen. Aber Jeff hatte nie wirklich Hunger, weil er immer schon so fokussiert auf sein anstehendes Training war. Er nahm es sich aber nicht, den Adventskalender zu öffnen, welchen er von seinen Eltern bekam. Es ist ein „Wrestling-Adventskalender“, bei dem in jeder Tür eine neue Überraschung steckt. Zwar kann man keinen neuen „Wrestling-Ring“ erwarten…wobei, die hat er ja alle schon. Der Kalender wurde von den Eltern eigens gebastelt und es machte Jeff große Freude, dass ihn seine Eltern so unterstützten. Wenn es mal wieder bei Bekannten Probleme gab, wenn die direkten Fragen kamen, was der Sohn denn mache, erwiderten die Eltern immer wieder mit ihrer Sicherheit, dass er im Moment noch Schüler sei und keine Ratschläge für eine Arbeit benötige. Jeff weiß nämlich genau, was er will.

Nach dem Essen macht sich Jeff auf den Weg zu seinem Trainingslager. In der Nacht hat es sehr geschneit und erst jetzt erkennt man die schneeverdeckte Skyline voraus. Mit einer schönen Aussicht läuft Jeff den steilen Hang hinab in die Innenstadt. Man könnte fast sagen, dass Haus der Familie Marcus throne über der Stadt. Rumms – Rumms und Jeff lag auf dem Rücken. Eine glatte Eisschicht hatte einen heftigen Sturz zur Folge. Zum Glück ist nichts schlimmes passiert, denn auf „3“ war Jeff schon wieder auf den Beinen. Ja, sogar hier wendete er seine neu gelernte Technik an. Er schüttelte den Rest Schnee von seiner Jacke und lief weiter.

Es war nun 07:30 Uhr und Jeff war wie immer eine halbe Stunde zu früh. Die Tür war noch geschlossen und Kälte plagte den armen Jungen. Aber was erzähle ich da…Jeff war 17 und in der Lage, sich zu helfen. Dadurch, dass es jeden Tag so war, wusste er sich zu helfen. Sein Kredo besagte, dass er der Erste zu Beginn sein werde und der Letzte, der das Training verließe. In einer kleinen Gasse nebenan war ein Bäcker, bei dem er noch eine halbe Stunde Zeit genoss. Immer mit akribischen Blick auf die Haustür der Wrestling-Schule, damit niemand vor ihm da sein wird. Um diesen Umstand vorzubeugen, bezahlte Jeff immer bereits gleich am Anfang, um, für den Falle, dass jemand käme, aufzuspringen und doch noch als Erster an der Tür zu sein.

07:50 – es war ruhig und niemand war ihm bis jetzt zuvorgekommen. Gemütlich ging er langsam wieder gen Haustür. Zehn Minuten später öffnete sein Trainer, ein erfahrener Wrestler in der heimischen Liga, die Pforten zum Lieblingssport von Jeff. Auch hier pflegte man viele Rituale. So ging es zuerst in den Umkleideraum und danach in das Nebenzimmer, in dem eine Besprechung über den heutigen Arbeitsplan stattfand. Auch hier war Jeff immer ein Perfektionist, hörte zu und schrieb sich sogar einige Zeilen aus dem Skript des Lehrers heraus, um keine Einheit zu verpassen. Danach folgte das Ausdauertraining. Hierfür wurde ein Parcour mit verschiedenen Trainingsstationen aufgebaut. Jeff meisterte dies mit Bravour und war danach bis zur Mittagspause fleißig am trainieren im Ring. Dazu wurden weitere erfahrene Wrestler hinzugezogen, die im Ring den Lehrlingen einige Griffe und Techniken lehrten. Jeff bekam heute das Glück, mit seinem Trainer in den Ring zu steigen. Immer wochenweise wechselte der Trainer seinen Platz, damit niemand benachteiligt wird. In dieser Woche war Jeff dran.

„Schlag mich, so fest du kannst, auf die Brust“, rief der Trainer. Bei Jeff ging ein Licht auf. Er erinnerte sich an eine Dokumentation mit dem Wrestler WALTER, der ebenfalls seine Schüler um so etwas bat. Natürlich bekamen alle Schüler das dreifache an Kraft zurück. Daher versuchte Jeff erst gar nicht, Gnade walten zu lassen und begann mit voller Wucht die blanke Hand auf die rechte Brust des Trainers zu platzieren. Ein heftiges Zischen war zu vernehmen. Und immer wieder machte der Trainer das Zeichen, dass Jeff ihm noch eine verpassen solle. Er hörte nicht auf, bis die Brust des Trainers weinrot war und plötzlich ein Schrei des Trainers kam. Ein Kommando, das besagte, dass Jeff nun seinen Lehrer zu Boden bringen musste und einen Haltegriff zeigen sollte. Er griff zu den Armen des Trainers, hebelte diese nach oben, so dass sich der Körper nach vorne beugte und in diesem Zuge das Gleichgewicht verloren ging. Am Boden legt er den linken Arm über seine Brust, streckte diesen und platzierte seine rechte Hand am Kopf des Trainers. Nun zieht er gleichzeitig an beiden Armen, so dass ein enormer Druck auf den Nacken ausgeübt wurde.

„Ok, ok, gut jetzt“, schreit der Trainer. „Puh, sowas habe ich ja noch nie gesehen. Wo hast du diesen Aufgabegriff aufgeschnappt?“
„Ich habe ihn mir selbst ausgedacht und perfektioniert“, antwortete Jeff.
„Lass uns mal in der Pause zusammensetzen“, sagte der Trainer.
Jeff war etwas mulmig geworden, denn er wusste nicht, ob er dies positiv oder negativ auffassen sollte.

Nach einer Weile war Mittag angebrochen und alle machten sich auf den Weg in die kleine Kantine. Reichliche Auswahl an Essen und Getränken waren angerichtet worden, doch bei Jeff hat sich der Magen etwas verstimmt. Er nimmt sich ein Fruchtgetränk und platziert sich auf einen der Stühle im Saal. Bald darauf kommt der Trainer und setzt sich neben Jeff.
„Hast du gar keinen Hunger?“
„Ehrlich gesagt, bin ich etwas nervös.“
„Warum denn? Etwa wegen unserer jetzigen Situation?“
„Richtig.“
„Brauchst du nicht sein. Ich habe gute Neuigkeiten.“
„Ach ja?“
„Ja, in der Tat!“

Nach zirka 15 Minuten grinste Jeff wieder bis zu den Ohren und auch das Hungergefühl war wieder da. Er stopfte sich allerdings nicht zu sehr voll, sondern fokussierte sich auf seinen Ernährungsplan. Danach stand das Nachmittagstraining an. Befreit konnte der Junge aus dem Ruhrgebiet kämpfen. Mit Respekt, aber dennoch mit voller Kraft, begann das Kräftemessen zwischen Schüler und Lehrer. Dabei durfte auch nicht das anschließende Kraftraining und die Fallschule fehlen.

Als Jeff am Abend nach Hause kam, waren kaum Blessuren zu erkennen. Zum ersten Mal kam er fröhlich nach Hause und setzte sich nicht, wie sonst immer, an den Schreibtisch und fasste den Tag zusammen. Stattdessen blätterte er durch sein „Tagebuch“ und las die niedergeschriebenen Texte. Angefangen mit der Anmeldung beim Schnuppertraining, über die glanzvolle Zeit im Amateurtraining und die Teambuilding-Ausflüge. Heute wird das Buch leer bleiben. Stattdessen legt Jeff einen Zettel in die leere Seite und klappt das Buch zu.

Über vier Jahre war Jeff nun in der Wrestling-Schule aktiv. Die Härte und Konsequenz im Training waren immer Ansporn für ihn, eine Verbesserung zu erzielen. Dabei immer das Ziel vor Augen gehabt und nie aufgegeben.

Nur noch drei Tage bis Weihnachten. Für die Eltern immer schwierig zu wissen, was man dem Sohnemann schenken soll. Deshalb gab es wie immer genau drei Tage zuvor die gleiche obligatorische Frage, was sich Jeff denn wünsche. Wie immer war eigentlich die Liste voll mit Wünschen, doch dieses Mal überreichte er seiner Mutter ein leeres Blatt als Wunschzettel. Die Mutter war ziemlich verdutzt und drehte sicherheitshalber das Blatt herum, doch auch hier war nichts gestanden.
„Ist das dein ernst?“
„Ich brauche für dieses Jahr nichts.“
„Du willst keine Geschenke haben?“
„Nein, ich bin glücklich.“
Die Diskussion ging noch etwas länger, da die Mutter es ihm wirklich nicht glaubte. Selbst der Vater war ein wenig misstrauisch geworden.

Doch als der heilige Abend anbrach waren wirklich keine Geschenke für Jeff unter dem Baum. Die Familie saß zu Tisch und genoss das Essen, welches immer zu Weihnachten zubereitet wird. Die Elternteile sahen immer wieder Jeff an, doch dieser war perfekter Laune und sein Stimmungsbild verhieß Zufriedenheit.
„Ok, Jeff, was ist hier los?“, fragte die Mutter.
„Ja, das würde mich auch interessieren!“, entgegnete der Vater.
„Du hast dir noch nie nie was gewünscht“, fügte die Mutter hinzu.
„Ok, ich komme gleich wieder“, antwortete Jeff und verschwand.

Als er wieder zurückkam standen beide Eltern vor dem Weihnachtsbaum, um die Kerzen zu entzünden. Als Jeff auf der Türschwelle stand, hielt er einen Brief in der Hand.
„Das ist mein Weihnachtsgeschenk für euch und für mich“, sagte Jeff.
Die Elter nahmen verlegen den Brief zur Hand und öffneten ihn. Dort stand geschrieben:

Hallo Jeff,
seit einiger Zeit bist du bei uns in der Wrestling-Schule aktiv. Du hast große Fortschritte gemacht und ragtest mit Disziplin, Eifer und Willenskraft heraus. Somit möchten wir dir deinen Wunsch erfüllen und dich zu einem ersten Match vor Zuschauern in unserer Liga einladen.
Zeige diesen Brief bitte unbedingt auch deinen Eltern.
Mit freundlichen Grüßen
Der Trainer

Eine lange Zeit blieben die Eltern wortlos vor dem Baum stehen. Der Vater wagte den ersten Satz und sprach: „Glückwunsch, Sohn. Jetzt geht dein Traum endlich in Erfüllung.“ Ein wenig Demut und kein Übermut schwingte in den nachfolgenden Worten von Jeff mit: „Es ist erstmal nur ein Match. Wenn ich mich anstrenge, dann wird es vielleicht was größeres. Ich bin zuversichtlich.“

Jetzt war erstmal Weihnachtszeit und da waren tatsächlich keine Geschenke zu sehen. Der Brief jedoch bekam den Sonderplatz an der Halterung des Baums, wo sonst immer das größte Geschenk lag. Es liegt eben immer im Auge des Betrachters, welche Dinge für einen groß erscheinen. Für Jeff war es der Aufstieg in ein neues Kapitel…

Die nächste Kurzgeschichte „Jeff Marcus – Erfüllung“ lest Ihr im nächsten Jahr zur Weihnachtszeit. In diesem Sinne: Besinnliche Festtage!

Kommende Veranstaltungen

8
error: Content is protected !!