Als Sports Entertainment Fan bin ich in den Jahren 2014 und 2015 über mehrfach ins Grübeln gekommen, ob die WWE noch das richtige für mich ist. Ich habe auch einmal kürzere Pausen eingelegt, aber spätestens beim nächsten PPV war ich wieder drin und habe mir auch die Weeklies zumindest in Ausschnitten angeschaut. Kurz: Ich kann nicht ohne die WWE...Big Grin Oder anders formuliert: Es fehlt eindeutig an einem Alternativprogramm für Zuschauer wie mich, die das "Entertainment" über das Wrestling stellen und großartige Matches in erster Linie an der Atmosphäre und der Storyline festmachen. Woran kränkelt es dem Sports Entertainment also? Ich habe mir Interviews und Monologe von u.a. Jim Cornette und Vince Russo angeschaut und stimme den beiden Herren nicht in allen, aber ein paar Punkten durchaus zu.
01. Eine zu breite Zielgruppe - Stupides Programm
Das ist meiner Ansicht nach das größte Problem, das die WWE momentan hat. Und das führt zwangsläufig dazu, dass Storylines so simpel gehalten sind, dass neue Zuschauer nach einem Einspieler im Bilde sind. Man muss sich RAW und SD gar nicht mehr anschauen, wenn ein 10 Sekunden Spot beim PPV während eines Einmarsches die Beweggründe dieses Kampfes zusammenfassen kann. Ich erwarte keine erzählerischen Glanzleistungen und komplexe Handlungsstränge, aber man nähert sich in Sachen Storylines und Gimmicks mittlerweile wieder den späten 80ern und frühen 90ern. Alleine Wrestler wie Kane oder Mankind hatten einen komplexeren Charakter als die heutigen Storylines.
Wrestler sollen heutzutage wohl nur noch durch ihr Aussehen und Verhalten auffallen. Warum ist Dean Ambrose ein verrückter Spottaker? Keine Ahnung! Aber Hauptsache er spielt uns vor, dass er es ist. Jegliche Tiefe wird im heutigen Programm vermieden, mittlerweile sind wir wieder bei klaren Schwarz/Weiß-Rollen angelangt. Tendenziell habe ich auch nichts gegen die PG-Ausrichtung. Fatal finde ich, dass die WWE so weitermacht wie vor zehn Jahren, aber all die gewaltätigen Methoden ersatzlos streicht. Ein Mr. Kennedy hat den Undertaker mit seinem Mikrofon hinterhältig blutig geschlagen. Heute spielt der Heel lieber Verstecken und Fangen. Diese hochbezahlten Writer scheinen absolut keine Idee zu haben, wie man Faces und Heels abseits von Dominanz und Feigheit aufbauen kann. Jeder spielt im Prinzip das gleiche. Und somit haben wir sich ständig wiederholende Angles und widersprüchliche Situationen.
Und daraus resultierend muss ich auch noch dieses schreckliche 50-50-Booking ansprechen, das keinem weiterhilft und eher im Gegenteil zu großen Problemem führt. Jeder Zuschauer hat seine Favoriten und soll bloß nicht sauer gemacht werden, wenn sein Owens/Cesaro/Ziggler mal verliert. Er soll ja immerhin beim Produkt bleiben. Wenn ein Owens aber bei RAW gewinnt, bei SD verliert, bei RAW verliert und bei SD in ein DQ-Finish verwickelt ist, führt das absolut zu nichts. Muss dann mal ein Contender out of nowhere aufgebaut werden, bekommt er eine Siegesserie und wird dann in der Regel von Lesnar/Cena/Taker weggesquasht. Wo genau liegt da der Sinn?
Und wenn man bei den Cenas und Lesnars dieser Welt gleich auf ein 100-0-Booking setzt, bringt man sich in eine ungünstige Lage: Diese ganzen Open Challenges um das US Gold führten zu gar nichts. Okay, Cena hat etliche gute Matches abgeliefert, einen Titel bedeutsam gemacht und ist einmal mehr PWI WOTY geworden. Super Cena! Und dann verliert er einmal gegen einen zurückkehrenden Heel in unter 10 Minuten (!) und man macht NICHTS damit. Gar nichts! Del Rio darf Jobber weghauen und den Titel warm halten, solange Cena TV Shows dreht. Bisher hat niemand von dieser Challenge profitiert und somit hat sie ihren Sinn verfehlt.
Diese zu breite Zielgruppe führt natürlich noch zu deutlich mehr negativen Aspekten: Gescriptete Promos, eintönige Storylines usw. Aber das kennt ihr ja bereits.
02. Zu viele "gute" Matches + Spot-Festivals
Die WWE ist dickköpfig und ignoriert die Fans? Nicht ganz! Viele Matches entsprechen mittlerweile den feuchten Träumen der Smarks...verdammt, mit NXT gibt es doch sogar einen ganzen Brand dafür! Warum muss man die Aspekte in das Hauptprogramm rüberschiffen, die 2,5 Mio. der 3 Mio. Zuschauer NICHT sehen wollen? Drei Stunden RAW führen dazu, dass haufenweise Matches mit einer Matchdauer von 15 Minuten + for free rausgehauen werden, die wir eigentlich bei PPVs sehen sollten. Der typische RAW-Zuschauer ist nicht an NXT interessiert und kennt ROH vermutlich gar nicht. Warum will man diese Leute erreichen? Diese Leute sind nicht nur in der Unterzahl, sondern schauen sich die WWE doch sowieso oder gar nicht an. Warum um diese Fans kämpfen? Warum nicht mehr Mühen in die Charaktere investieren und den Casual Fans vor den Fernsehern etwas bieten, was u.a. bei Walking Dead, Breaking Bad, House of Cards usw. für großen Erfolg führt? Die Zuschauer sind nicht dumm und lassen sich schon gar nicht als dumm verkaufen. Ich sehe einen McMahon, der 1997 zugibt, die Fans für dumm verkauft zu haben. Fast 20 Jahre später steht er im Ring, wird von Reigns angegriffen und gibt ihm ein Titelmatch. So ähnlich ist das bei den Matches: Den Lucha Dragons scheint es wichtiger zu sein den Fans zu gefallen, statt die Tag Team Championship zu gewinnen. Sheamus möchte anscheinend gar nicht gegen Dean Ambrose gewinnen und köpft ihn sogar selber von der Käfigwand herunter. Das ist absoluter Bullshit!
Die Punjabi Prison Matches waren vielleicht nicht hochklassig, aber der Undertaker wollte das auf jeden Fall gewinnen. Batista wollte das unbedingt gewinnen. Man hat es jederzeit gemerkt. Heutzutage würde ein Heel nach oben klettern und irgendeinen Elbow Drop zeigen, nur um WTF Rufe zu erzeugen. Was haben wir davon? Nichts.
03. Grobe Fehler in der Charakterentwicklung... oder keine Charakter!?
Und damit habe ich auch schon den letzten Punkt angeschnitten, der mich persönlich besonders ärgert: Die Charaktergestaltung ist für die Katz! Heels wollen Pops und Chants durch ihre Aktionen hervorrufen und ihrem Face Gegner eloquent überlegen sein. Aber warum eigentlich? Beim gleichen Standing soll ein Heel soll ein Face over bringen und seine Schwächen lediglich im Rahmen der Storyline offenlegen. Wrestler der älteren Garde sollten nach Möglichkeit ihren meist aufstrebenden Heel-Gegner auf irgendeine Art und Weise helfen, sei es durch den Matchverlauf, dem Finish oder dem Aftermath. Warum müssen die Brothers of Destruction ganz humorlos das beste Heel-Stable der letzten Zeit zerlegen? Weiß keiner. Und warum es den Wyatts nicht wurmt und warum sie keine Rache wollen weiß auch keiner. Stattdessen geht es direkt mit den nächsten Gegner weiter. Ganz schwach gebookt. Die WWE scheint zu vergessen, dass es immer weitergehen muss. Ein Lesnar hat nicht immer Bock, ein Cena ist nicht mehr lange da, ein Rocky dreht ab und zu Filme. Wen hat Lesnar jetzt noch als legitimen Gegner? Niemanden. Er muss eigentlich die WWE World Heavyweight Championship gewinnen und dann den Gegner nehmen, der kommt. Aus eigenen Sachen heraus hat er schon jeden besiegt, bis auf Rocky. Aber dieses "Bigger, bigger, bigger"-Motto lässt sich halt nich unendlich lange fortsetzen, zumal er genauer betrachtet The Rock schon besiegt hat.
Zurück zu der Midcard: Der ganz langsame Weg von Batista aus der Evolution heraus war ganz großes Kino für Zuschauer, die jede Woche eingeschaltet haben. Und das fehlt mittlerweile komplett. Turns kommen entweder gar nicht oder ohne Erklärung. Tyler Breeze fotografiert sich selber und Fandango tanzt gerne. Aber warum? Keine Ahnung! Wie soll ich an diesen Charaktern Gefallen finden, wenn ihre Rolle aufgesetzt und zufällig zugeteilt wirkt? Noch schlimmer finde jedoch diese Reality-Gimmicks von Kevin Owens oder Cesaro, die niemanden zum Einschalten animieren. Diese Typen sind tolle Wrestler und Techniker, versagen für mich als Fan von Serien und TV Shows aber als Charaktere auf ganzer Linie. Owens soll ein "Prize Fighter" sein? Warum sehe ich davon nichts? Er ist genauso feige wie die ganzen anderen Heels auch und in seinem Auftreten beliebig. Bei Cesaro genau das gleiche. Und Barrett. Und Sheamus. Und Ryback. Auf der anderen Seite dann die völlig dominierenden Faces um Reigns und Ambrose, die einfach da sind. Ihre einzige Story war The Shield, danach kam absolut nichts mehr. Reigns hat nie irgendwas gewonnen, hat keine große Storyline durchlebt und ist auf einmal ein Jahr lang im Main Event bzw. der Upper Midcard.
Ganz seltsam finde ich auch die Debüts der so gelobten NXT-Wrestler. Warum will fast keiner von NXT ins Main Roster? Warum scheitern so viele Main Roster Debütanten? Weil man anscheinend der Auffassung ist, dass NXT als Sprungbrett reicht. Aber Nicht-Abonennten, Marks, Casual Fans...die kennen diese ganzen Typen nicht. Diese Wrestler werden einem nicht vorgestellt, sondern tauchen einfach auf. Man setzt sie als bekannt voraus. Aber wieso? Da ist Sami Zayn! Super, wer ist das? Kevin Owens turnt schon ganz lange dort im Roster rum, aber was genau strahlt dieser Mensch eigentlich aus? Genau deswegen ähneln sich fast alle Superstars und deswegen hat der normale Zuschauer keinen Grund, RAW irgendeiner anderen Fiction-Serie vorzuziehen. Die Attitude Era war nicht wegen dem Wrestling so erfolgreich.
Viele Punkte sind jetzt sicherlich durcheinander gewirbelt worden. Punkt 1 und Punkt 3 ähneln sich sehr, es sind einfach meine gesammelten Gedanken. Am Ende bin ich wohl doch eher der Vince Russo (dessen Meinung ich jetzt doch wohl etwas zu wörtlich übernommen habe; sie trifft aber meine Grundgedanken) und nicht der Jim Cornette. Aber damit kann ich gut leben, denn deswegen war Wrestling einmal so faszinierend: Wegen den Charakteren und den Storylines! Aber beides fehlt mittlerweile fast komplett. Wer soll dann noch einschalten?