WrestlingCorner Kolumne: Gimmick vs. Wrestling

Veröffentlicht am 5. März 2022 um 18:05 Uhr von Vincent Hummel in der Kategorie: Intern, Kolumnen.

„Nachdem WWE über Jahre hinweg weg vom rein gimmickbetonten Wrestling ging (u.a. mit WWE NXT), haben die Entwicklungen der letzten beiden Jahre gezeigt, dass dieser Prozess offenbar wieder umgedreht wird – nicht zuletzt, da Paul „Triple H“ Levesque allem Anschein nach bei NXT entmachtet wurde und die Abteilung damit nur noch ein Abziehbild von Raw und SmackDown werden wird. Das alles heißt: Es geht wieder zurück in die späten 80er/frühen 90er Jahre. Doch diese Zeiten sind vorbei. Das Wrestling muss sich weiterentwickeln und nicht zurückentwickeln.“

Die perfekte Einführung zu dieser heutigen Kolumne. Diese Sätze stammen aus einem Facebook-Post des ehemaligen deutschen WWE-Kommentators Carsten Schäfer, mit denen viele als die Stimme für Wrestling in Deutschland aufgewachsen sind. Mit dieser Aussage, die nur ein Teil seiner eigentlichen Botschaft abdeckt, trifft er den Nagel auf den Kopf. Es entwickelt sich vieles rückwärts, während es woanders schon längst vorwärts geht – allen voran bei der japanischen Wrestling-Liga NJPW (New Japan Pro Wrestling).

Eine Personenbefragung zu dieser Kontroverse wäre nicht schlecht. Die allgemeine Meinung hat sich sicherlich geändert und man wandert immer mehr vom gimmickbezogenen Wrestling ab. Der Marktführer hingegen bedient sich entgegen der Entwicklung, wodurch man meinen könnte, dass sich eine Vielzahl an Fans dafür interessieren. In vielen Fällen jedoch zeichnet sich das Gegenteil ab. Sinkende Quoten, Desinteresse zu Charakteren und falsche Zielsetzung. Es mag in familienfreundlicher Manier ziemlich interessant klingen, die Geschichte vor den Sport zu stellen, indem man zwei Minuten des Wrestlings präsentiert, was sich auf eine Hochrechnung von einer halben Stunde Kampfzeit auf einer Matchcard zeigt, jedoch weitere 90 Minuten der Show für die eigentliche Entwicklung des Wrestlers in Schauspielkunst übrig hat.

Letzteres hat vielleicht nichts mit dem reinen Gimmick zu tun, es beweist aber sicherlich das Nutzen für eine Storyline. Aber auch hier kann man nicht nur auf den Marktführer schimpfen. Wie Carsten Schäfer auch weiter formuliert, entwickelt sich die amerikanische Wrestling-Liga AEW (All Elite Wrestling) in dieselbe Richtung, wenn sie immer mehr Storyline einbauen und den Charakter überdimensional fördern. Die Fragestellung bezieht sich hier nicht auf die eigentliche Frage, wofür AEW steht, sondern wofür Wrestler dort unterschrieben haben. Unmut der Wrestler gegenüber der WWE ist nichts Neues und bestimmt war die Gehaltsfrage nicht immer der Auslöser.

Man wollte alles besser machen, hieß es bei AEW. Das haben sie auch genügend bewiesen, indem sie immer wieder die Nachwuchsliga „NXT“ in den Quoten bezwang. Das hat dazu geführt, dass man sogar bei WWE den Sendetag wechselte. Und damals war „NXT“ der Hoffnungsbringer für ein Fokus-Wrestling, weshalb AEW da wirklich erstaunliches gelang. Ein jähes Ende, als WWE entschied, das Produkt neu zu gründen. Man verbannte den Hoffnungsträger Triple H (Paul Levesque) aus „NXT“ und zeigte nun wieder einmal das gleiche Wrestling aus der Dose. Natürlich war dieser Produktwechsel keine große oder falsche Entscheidung, ich befürwortete sie ja. Da wirklich das Interesse immer mehr schwand, ist es folgerichtig, wenn man eine Neuausrichtung plant. Doch die Gründe dafür sind noch nicht mal ansatzweise analysiert. Ich denke persönlich, dass es sicherlich nicht die Philosophie war, die es begünstigt hat. Tapetenwechsel ja, Vergangenheit nein.

Wenn im Fußball ein Trainer nicht auf große Begeisterung mit seiner Taktik stößt, zeigt sich das im Ergebnis. Folge: Entlassung. Neuausrichtung mit neuem Trainer. Der Sport lebt auch von Wechseln und neuen Gesichtern, aber man muss sich trotzdem dem Stand der Zeit bewusst sein. Liberio ist Out – Dreierkette ist In. Wir brauchen Wrestling und Storylines, wir brauchen Gimmicks und verschiedene Gesinnungen. Aber es darf sich nicht zu einer Hauptattraktion entwickeln. Es muss eine Vermischung aus allem sein. Wenn ich sehe, dass in früherer Zeit ein Match trotzdem mal bei einer „Weekly“ über 20 Minuten ging, sieht man das bei WWE immer seltener.

Mein Appell richtet sich nicht danach, den Kampf so hart in den Fokus zu rücken, wie es NJPW macht, aber trotzdem auch mal seinen Erfindergeist spielen lassen. Es gibt so viele Wege, ein spannendes Match auf die Beine zu stellen. Nicht immer muss es 0815 laufen mit Segmenten und der Heel-Face Konfrontierung. Es gibt so viele Möglichkeiten: Storytelling über mentale Denkmuster z.B. frühere Rivalitäten und deren Hauptpunkte in jetziger Rivalität mit einem oder mehreren gleichen Wrestlern beleuchten und einbinden oder Analogie für einen spannenderen Anfang einer Fehde (siehe Punk-MJF Fehde), Storytelling über physische Faktoren z.B. Fokus auf eine bestimmte körperliche Partie des Wrestlers mit Bezug auf die immer gleichen Angriffszenarios (siehe WALTER-Dragunov Fehde bei wXw oder Suzuki-Okada Fehde bei NJPW). Es könnte ewig so weitergehen, aber es muss nicht immer der gleiche Stiefel sein.

Wir sehen immer noch einen Sport, der zwar von seinen Stories lebt, aber nicht nur. Es braucht eine gelungene Mischung, die allerdings nie den Fokus verliert, was man denn eigentlich gerade schaut. Hervorragende Schauspieler gibt es viele, aber genau so steckt in vielen Wrestlern auch das andere Potenzial, der Kämpfer. Diese Stärke besaß WWE nie und deshalb werden auch Wrestler wie Shinsuke Nakamura, früher als wohl einer der besten Wrestler der Welt bezeichnet, nie sein volles Potenzial ausschöpfen. Auch er musste sich auf die neuen Muster einstellen und ist nun mehr und mehr zu einem WWE-Fighter geworden, als der einstige King of Strong-Style. Oder aus aktuellem Anlass der Kolumne und Carsten Schäfer: Warum war denn Claudio Castagnoli (Cesaro) immer von vielen als „underrated“ bezeichnet worden?

Geld lockt sicherlich nicht viele bei WWE zu bleiben. Bei AEW kann man nahezu das gleiche verdienen, wenn es darum geht, zumal einige Superstars ein Grundgehalt beziehen. Es sind auch andere Gründe, die einen zeigen, dass viele einfach auch zu einer gut geführten Fehde auch ein gut geführtes Match präsentieren. Denn: Entschieden wird die Rivalität im Ring und nicht am Mikrofon!

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